Was Sie von Tiger Woods lernen können

...Nachdem ich, so wie die meisten Golfspieler nur die Legenden und Geschichten über ihn kannte, war es an der Zeit Tiger Woods endlich live zu erleben. Dazu wich ich eine Woche kaum von seiner Seite. Es bestärkt mich in meiner Arbeit, daß Tiger praktisch alle Module, natürlich auf seine Art, umsetzt. Hier sind die Ergebnisse einer systematischen Beobachtung über die Turnierwoche der SAP Deutsche Bank Open.

Drinnen/Draußen
Da er von Fans, Journalisten und Kindern umlagert ist, hat er nur auf der Driving Range und auf dem Platz seine Ruhe. Und selbst da wird ein ständiger Wechsel zwischen Konzentration und Entspannung von ihm verlangt. Ganz selbstverständlich schaltet er vom lockeren Gespräch mit Pro Am Partner Boris Becker um auf "Spannung" und geht zum Drive auf den Abschlag. Bald danach schaltet er zurück auf "Entspannung" und plaudert weiter. Im Turnier wird alles "entspannende" außerhalb der Seile (draußen!) sein und alles spannende innerhalb (drinnen!). Genau das organisiert Tiger für sich bereits jetzt in der Vorbereitung: Immer wenn ein Schlag ansteht, geht er in Distanz zu den Leuten um ihn herum, läßt sie "draußen". Er selbst konzentriert sich, ist drinnen. Fazit: Bevor sie einen Schlag spielen, gehen sie bewußt nach "drinnen", schalten um auf Spannung. Lösen sie bewußt die Spannung nach dem Schlag auf.

Das Prinzip "Augen auf"
Trotz der Gespräche mit Becker und Beckenbauer während des Pro/Am`s ist er über weite Strecken aufmerksam dem Platz gegenüber, er hat die Augen auf. Er diskutiert mit seinem Caddy den genauen Spielweg für jede Bahn. Ihm kommt entgegen, daß er den Platz aus dem vergangenen Jahr kennt. Er bespricht die Schlägerwahl für verschiedene Fahnenpositionen. Und er beobachtet seine Mitspieler (obwohl sie Amateure sind) sehr genau beim Putten, um sich die Grüns einzuprägen. Fazit: Machen sie die Augen auf und gehen sie Ihren! optimalen Spielweg am Grün noch einmal durch.

Übertreiben beim Technik-Training
Tiger Woods arbeitet an seinem Schwung auch während des Turniers. Dabei orientiert er sich an den mittlerweile weltweit üblichen Kriterien. In Deutschland würde man in diesem Zusammenhang von "Grundschwung" oder "Neutralschwung" sprechen. Tigers Schwung ist gewissermaßen die Umsetzung des "Grundschwunges", wie er vom DGV, der German PGA oder auch vielen international anerkannten Trainern vermittelt wird. Die Bewegungsteile, die er umlernen will, übertreibt er so stark beim Training, daß es wie ein Jux Schwung aussieht. Einige Zuschauer, die nicht wissen, was er tut, fangen sogar an zu lachen. So "legt" er den Schlägerkopf beim Ausholen so stark, daß es aussieht, als wenn er ihn hinter sich fast auf den Boden fallen läßt. Damit durchbricht er sein automatisiertes Bewegungsprogramm (die typischen Position im höchsten Punkt, bei der der Schlägerkopf kreuzt, d.h. vor dem Kopf fast wieder zu sehen ist). Tatsächlich gelingt es ihm bei einzelnen Schlägen bereits im Turnier, in die neutrale Idealposition zu schwingen, bei der der Schläger im höchsten Punkt genau ins Ziel zeigt. Fazit: Wenn Sie Ihren Schwung wirklich verändern wollen, übertreiben Sie bei den Übungsbewegungen bis ins Groteske.

KSO
Tiger steht exakt eine Stunde und zehn Minuten vor der Startzeit auf der Driving Range. Zuerst bringt er seinen Körper auf Temperatur (K). Danach erarbeitet er sich sein Schwunggefühl (S). Dazu macht er viele Wedge Schläge und halbe Schwünge. Erst nach einer ganzen Weile beginnt er mit den vollen Schlägen. Auch hierbei steigert er langsam über die Schlägerwahl. Schließlich macht er die letzten Schläge wie auf dem Platz. Mit kompletter Organisation (O) der Schlagroutine. Das sieht aus als wenn es um die British Open geht. Fazit: Egal wie kurz ihre Vorbereitungszeit ist: Aktivieren sie alle drei Bereiche vor dem Spielen einer Runde: Körper (K), Schwunggefühl (S) und Organisation (O=mentale Abläufe=Schlagroutine).

Schlagroutine
Tiger macht bei jedem Schlag die gleiche Schlagroutine. Er geht nur ein, zwei Schritte hinter den Ball, hält kurz inne und macht dann recht schnell. Der Ablauf sieht sehr simpel und immer gleich aus. Dabei bewegt er sich so natürlich wie ein kleines Kind. Doch hinter dieser Natürlichkeit steckt intensive, langjährige und beharrliche Arbeit. Fazit: Bemühen sie sich um eine eigene, immer gleiche Schlagroutine.

Entscheidungen zum Ball bringen
An Bahn zwölft liegt Tiger schlaggleich mit Michael Campbell in Führung. Dann locht Tiger Woods sein Eisen sieben aus 160 Metern. Bei diesem Schlag und bei allen anderen in dieser Schlußrunde, in der sich jetzt eine Entscheidung anbahnt, geht er zügig und ohne auch nur den Hauch eines Zögerns zum Ball und schlägt. Selbst Tourspieler neigen in Extremsituationen dazu nach weiteren Sicherheiten zu suchen. Aber die gibt es nicht und das weiß Tiger Woods. Fazit: Entscheiden Sie wie Sie den Ball spielen wollen und bringen Sie ihre Entscheidung zum Ball.

Rückmeldung
Nach jedem Schlag, sei es auf der Driving Range oder auf dem Platz hält Tiger Woods für einen Moment die Endposition nach dem Schwung. Wenn man sein Gesicht dabei beobachtet wird ganz offensichtlich, daß er mit der Rückmeldung, der Summe seiner Wahrnehmung von diesem Schlag, beschäftigt ist. Beobachtet man ihn eine Weile fort, insbesondere auf der Driving Range, dann hat man den Eindruck er arbeitet ununterbrochen, von Schlag zu Schlag, mit dem Instrument der Rückmeldung an seiner Weiterentwicklung. Fazit: Fühlen sie im Finish in sich hinein, arbeiten Sie mit Ihrer Rückmeldung.

Abrufbarkeit
In der ganzen Woche sehe ich Tiger Woods nur einmal nachputten. Abgesehen davon, daß die Regeln ihm verbieten nach einem mißglückten Putt nocheinmal einen weiteren Versuch zu machen widersteht er auch der Versuchung auf dem Putting Grün. Er läßt den Fehlversuch so stehen. Das ist sein Motiv. Er will es beim nächsten mal besser zu machen. Dabei werden seine mentalen Abläufe bis zum Moment der Tat immer runder. Um es klar zu sagen: Tiger ist nach Fehlschlägen stocksauer, manchmal wirft er sanft seinem Caddy den Schläger zu, manchmal spuckt er aufs Grün. Aber er fängt sich bliztschnell. Fazit: Trainieren sie nicht nur ihre Technik, sondern auch deren Abrufbarkeit. Legen sie eine Zeit fest an der sie einen Meterputt lochen wollen. Lassen sie das Ergebnis wirken. Spielen sie nicht zu Ende, wenn der Putt vorbei geht.

Gelassenheit
Tiger ist extrem diszipliniert. In der Turnierwoche trainiert er viel, ist frühzeitig auf der Driving Range und gut organisiert. Er hat eine sehr klare Vorstellung was zu welchem Zeitpunkt geschieht. Als aber ein Gewitter seine zweite Runde an Bahn 11 unterbricht, fängt er nicht an zu lamentieren. Gelassen beginnt er nun zu improvisieren, denn er weiß: irgend etwas unvorhergesehenes passiert bei jedem Turnier. Selbst als er am nächsten Tag, nachdem er die Runde beendet hat, auf der gesamten Anlage kein Mittagessen auftreiben kann sagt er lächelnd zu seinem Caddy: "Ok. Let´s go to Mc Donalds". Fazit: Planen Sie extrem genau aber bleiben sie gelassen, wenn es nötig wird den Plan über den Haufen zu werfen. Erhalten Sie sich Ihre Lust an der Improvisation.

Taten statt Ergebnisse
Als er in der Pressekonferenz von den Journalisten nach seinem gelochten Eisen 7 gefragt wird, wiegelt er jeden Superlativ ab. So etwas könne man nicht trainieren. Er sei auch sehr überrascht gewesen. Hier und bei den Fragen zum Grand Slam spielt er Ergebnisse herunter und spricht über Taten. Fazit: Konzentrieren Sie sich auf das was zu tun ist und nicht auf das was passiert, wenn es klappt oder schiefgeht. Konzentrieren Sie sich z.B. beim Meterputt darauf, daß sie den Putter fühlen, wie er den Ball gut trifft, das ist nützlicher als daran zu denken, was passiert, wenn der Ball ins Loch oder vorbei geht.



         
 

© Rainer Mund

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